Mit Gabrielle Leisi und Kari-Wüest-Schöpfer gehen zwei Bildungsprofis, die viel bewegt haben, in Pension. Im Gespräch blicken sie auf ein Vierteljahrhundert an der EB Zürich zurück und erzählen, was sie durch ihre Arbeit persönlich gelernt haben.
Gabrielle und Kari, warum habt Ihr Euch für eine Laufbahn in der Weiterbildung entschieden?
Kari: Die Pfadi hat mich geprägt. Als Stammführer leitete ich Lager mit bis zu 80 Kindern. Nach meiner Lehre als Elektroniker begann ich, Lernende auszubilden – erst nebenbei, dann hauptberuflich. Ich war kein guter Schüler, doch in der Berufsbildung entdeckte ich, dass Lernen Spass machen kann. Vor 26 Jahren stieg ich dann an der EB Zürich auch in die Erwachsenenbildung ein.
Gabrielle: Ich war lange im HR tätig und leitete ein Geschäft für Personalberatung. Später wechselte ich zum Arbeitsamt Zürich und absolvierte parallel die Ausbildung zur dipl. Berufs-, Studien- und Laufbahnberaterin. Der Amtschef bat mich, intern einzelne Trainings und Schulungen durchzuführen. So wuchs ich in die Rolle hinein, obwohl ich anfangs «von Tuten und Blasen keine Ahnung hatte.»
Als Ihr vor über 25 Jahren zur EB Zürich gestossen seid, hiess sie noch EB Wolfbach. Wie sah der Weiterbildungsmarkt damals aus?
Gabrielle: Einen eigentlichen Markt gab es noch nicht. Weiterbildung fand vor allem im Betrieb oder als Teil der Höheren Berufsprüfung statt. Fachhochschulen gab es noch nicht und private Anbieter waren rar. Die nonformale Weiterbildung hatte einen deutlich höheren Stellenwert. Die EB Wolfbach war ihrer Zeit voraus, weil sie die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellte.
Ihr habt den Bereich Berufsbildung 19 Jahre lang gemeinsam geleitet. Wie kam es dazu? Was hat Euch an der Co-Leitung besonders gefallen?
Gabrielle: Wir wollten etwas verändern und packten es selbst an. Die Aufgaben teilten wir uns auf. Da uns beiden schnell langweilig wird, rotierten wir: Ein Jahr kümmerte sich Kari beispielsweise ums Marketing, im nächsten Jahr ich. Dann tauschten wir wieder. Das brachte Abwechslung und frische Ideen.
Kari: Ich bin dankbar, dass wir diese spannende Aufgabe gemeinsam übernehmen durften. Es hat einfach «gematcht». Wir sind zwar unterschiedlich, teilen aber die gleichen Grundwerte – Vertrauen und Offenheit waren uns wichtig. So konnten wir Konflikte klären und gleichzeitig eine Freundschaft aufbauen. Keiner von uns hätte diesen Führungsjob allein machen wollen.
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«Die Berufsbildung ist viel diverser geworden.»
Wie hat sich die Berufsbildung in dieser Zeit verändert?
Kari: Sie ist viel diverser geworden. Als ich anfing, war es üblich, dass Herr und Frau Schweizer nach einer soliden Berufsausbildung zwischen 30 und 40 Jahren noch den «Lehrmeister» machten. Heute kommen Menschen jeden Alters und mit unterschiedlichstem sozialem und kulturellem Hintergrund in die Kurse – teils auch mit Fluchterfahrung. Ohne sie würde das System nicht mehr funktionieren.
Gabrielle, Du hast die Fachstelle «Innovation und Projekte» aufgebaut. Gibt es ein Projekt, das Dir besonders wichtig war?
Gabrielle: Die Fachstelle entstand erst mit der Neuausrichtung der EB Zürich im Herbst 2019, doch innovativ waren wir schon vorher. Ein Herzensprojekt war die Entwicklung der «Drehscheibe für Berufsbildungsprofis». Uns war schon länger klar: Als reiner Kursanbieter haben wir in einem so anspruchsvollen wirtschaftlichen Umfeld keine Zukunft. Deshalb wollten wir uns als Dienstleister etablieren und gezielt die Bedürfnisse von Berufsfachschulen und Lehrbetrieben bedienen.
Kari, Du bist seit vielen Jahren Prüfungsexperte bei der SBBK und dem SVEB. Welche Kompetenzen brauchen Ausbilder/-innen in Zukunft stärker?
Kari: Drei sind für mich entscheidend: erstens kritisches Denken, um Informationen und Trends richtig zu bewerten. Zweitens eine neue Art von Medienkompetenz: Wissen ist jederzeit abrufbar. Es geht nicht mehr darum, schöne Folien zu gestalten, sondern verlässliche Quellen zu finden und zugänglich zu machen. Und drittens: Empathie. Wer ausbildet, muss Menschen mögen – in Zeiten von künstlicher Intelligenz erachte ich diese Fähigkeit als wichtiger denn je.
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«Wir sind keine 'Lehrpersonen' mehr, sondern Lerncoaches.»
Was hat sich am Verständnis von 'guter Weiterbildung' geändert? Und was habt Ihr durch Eure Arbeit mit Erwachsenen persönlich gelernt?
Kari: Die Ermöglichungsdidaktik hat sich durchgesetzt. Anstatt zu belehren, schaffen wir Rahmenbedingungen, in denen Lernende sich Wissen selbst erarbeiten können. Das hat auch meine Haltung verändert: Ich bin bescheidener geworden. Ich begleite die Lernenden, ohne zu erwarten, dass sie alles so machen wie ich.
Gabrielle: Wir sind keine «Lehrpersonen» mehr, sondern Coaches. Besonders gefällt mir das iterative und exemplarische Lernen, das ich kürzlich im modularen SVEB-Kurs durchgeführt habe. Iterativ bedeutet: Wissen wird in mehreren Zyklen aufgebaut. Exemplarisch heisst: Wir arbeiten an einem konkreten Beispiel der Teilnehmenden. Ich bin jemand, der zum Nachdenken und Dagegenhalten anregt. Früher hielt ich das für eine Schwäche, heute sehe ich es als Stärke: Wenn eine Diskussion entsteht, beginnt das gegenseitige Lernen.
Dieses Jahr geht Ihr in Pension. Wie blickt Ihr auf den neuen Lebensabschnitt?
Gabrielle: Es ist der richtige Zeitpunkt. Mein Berufsleben war erfüllend, nun freue ich mich auf ein ebenso reiches Privatleben – Gartenarbeit, Reisen an den Atlantik. Aber nicht alles ist durchgeplant – für Überraschung soll Platz bleiben.
Kari: Mir geht es ähnlich. Ich will aktiv und neugierig bleiben, aber bewusst nicht alles verplanen. Nach all den Jahren mit voller Agenda geniesse ich es, keine festen Termine zu haben und trotzdem zu wissen, dass bald wieder etwas Spannendes auf mich zukommen wird.